Was Kundinnen und Kunden zukünftig von ihrer Bank erwarten
Etablierte Bankinstitute verlieren täglich Kundinnen und Kunden an Neobanken. Der in der Schweiz noch junge Trend zeigt auf, wo der Schuh drückt: Einerseits kennen Banken ihre Kundschaft zu wenig, andererseits sind sie zu langsam in der Lancierung neuer, digitaler Angebote. Ein Umdenken ist gefragt.
Heutige Bankkunden sind zufrieden mit ihrer Bank, empfehlen das Institut aber nicht weiter. Das zeigt die Retail-Banking-Studie 2021 des IFZ der Hochschule Luzern. Banken gelingt es grösstenteils, die Erwartungen der Kundinnen und Kunden zu erfüllen, nicht aber, sie zu übertreffen oder die Kundschaft gar zu begeistern. Kein Wunder, denn Banken werden von den meisten Kundinnen und Kunden als reine Problemlöser angesehen. Gleichzeitig verlieren die alteingesessenen Institute der Raiffeisen-, Kantonal-, Regional- und Grossbanken zunehmend Geschäft an Neobanken wie Revolut (ca. 450 000 Kunden in der Schweiz), Neon (ca. 100 000 Kunden), Zak (ca. 45 000 Kunden) oder Yuh (ca. 50 000 Kunden) oder konkurrieren gar mit sich selbst, wie etwa die Credit Suisse mit der Smartphone-Bank CSX.
Aus Bankensicht würde es sich lohnen, diese interessante Kundschaft genau zu beobachten. Der durchschnittliche Neobank-Nutzer ist jung, männlich, gut gebildet und einkommensstark, wie eine Studie des Instituts für Finanzdienstleistungen Zug und des Beratungsunternehmens TI&M aus dem Jahr 2021 zeigt. Allerdings gibt derzeit erst weniger als 1 Prozent der Kundschaft eine Neobank als ihre Hauptbank an. Wie man aus dem diesbezüglich weiter fortgeschrittenen Markt von Grossbritannien weiss, kann sich dies über die nächsten Jahre aber rasant ändern.
Was erwarten Kundinnen und Kunden denn zukünftig von ihrer Bank? Die Beantwortung dieser Frage hängt entscheidend davon ab, welche Art von Bankkunden man betrachtet. Aus einer repräsentativen Untersuchung des IFZ in Zusammenarbeit mit den Softwareunternehmen BSI, Finnova und der Schweizerischen Post aus dem Frühjahr 2020 kann man entnehmen, dass man Bankkunden gut anhand ihrer Touchpoint-Nutzung einteilen kann.
Die vier häufigsten Bankkunden-Typen
Es fällt auf, dass etwas mehr als die Hälfte aller Kundinnen und Kunden geringe Ansprüche an die Geldinstitute haben. Sie nutzen primär das E-Banking, je länger desto stärker das Mobile Banking und für die Bargeldversorgung den Geldautomaten. Wenn Menschen aus dieser Gruppe Fragen an die Bank haben, wenden sie sich an die zentrale Rufnummer der Bank. Es geht dieser Gruppe primär um Reibungslosigkeit beim Zahlungsverkehr. Das zeigen auch die Ansprüche an E-Banking und/oder Mobile Banking als zentrale Beziehungsplattformen. Kundinnen und Kunden wollen auf einen Blick sehen, wie viel Geld sie zur Verfügung haben, und sicherstellen, dass all ihre Zahlungen fehlerfrei ausgeführt wurden.
Andere Kundengruppen sind damit interessanter für die Banken. Auf der einen Seite sind das die klassisch-analogen Kunden. Sie machen zirca 22 Prozent der Bankkundschaft aus. Sie nutzen vor allem Bankschalter, Bankberatende, erwarten ihre Kontoauszüge nach wie vor per Post, nutzen jedoch zu etwa 80 Prozent E-Banking, jedoch noch weniger das Mobile Banking. Auch hier kann man erkennen, dass das E-Banking als Plattform das Potenzial für die Beziehungsgestaltung hat.
Eine weitere Gruppe ist jene der rein digitalen Kundinnen und Kunden. Sie umfasst heute etwa 16 Prozent. Diese Gruppe ist eher städtisch orientiert und überwiegend männlich. Die Mitglieder dieser Gruppe nutzen zu 100 Prozent E-Banking und zu über 90 Prozent Mobile Banking. Banking ist für sie eine reine Selfservice-Aufgabe. Sie nutzen Steuer- und Vorsorgerechner, informieren sich auf Finanzplattformen und sind sehr preissensitiv.
Nur 11 Prozent aller befragten Bankkunden sind "Viel-Touchpoint-Nutzer". Dabei handelt es sich zu zwei Drittel um Männer. Sie haben konkrete Bankbedürfnisse, neben einer intensiven Nutzung von fünf bis zehn digitalen Berührungspunkten mit der Bank sind fast alle mit ihrem Bankberater in regelmässigem Austausch. Diese Treffen bereiten sie intensiv digital vor und nach. Ein typisches Bedürfnis von Menschen in dieser Gruppe ist es etwa, direkt in der Mobile-Banking-App einen Beratungstermin zu vereinbaren, der zum persönlichen Terminkalender passt. Betrachtet man diese vier Gruppen und stellt ihre Bedürfnisse ins Verhältnis zum von Banken konkret wahrgenommenen Verhalten, stellt man Folgendes fest:
Rund 90 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer nutzen heute E-Banking. Trotzdem gehen die meisten Banken nach wie vor davon aus, dass Bankberatende die zentrale Kundenbeziehungsplattform sind. Man weiss heute jedoch, dass Vertrautheit und damit Beziehungen vor allem aus der Anzahl der Interaktionen entstehen. Die Anzahl Interaktionen mit E- und Mobile Banking übersteigt jedoch die Anzahl Interaktionen mit dem Bankberater in allen vier beschriebenen Segmenten um ein Vielfaches (ca. 170 Mal mehr Interaktionen!).
Zwar nutzen nahezu alle Kundinnen und Kunden das E- oder Mobile Banking der Institute, trotzdem erreicht die Banken noch immer ein substanzieller Anteil von einfachen, im Selfservice lösbaren Anfragen. So bestehen nahezu 30 Prozent der gesamten telefonischen Kommunikation einiger Institute nach wie vor aus Kontostandsanfragen. Offenbar gelingt es den Banken nicht, ihre Tools so zu gestalten, dass es für alle Kundengruppen einfacher ist, diese Tools zu benutzen als anzurufen. Daraus resultieren enorme Kosten in Form von Geld (für die Banken) und Zeit (für die Kunden).
In Bezug auf Werbung gibt die Kundschaft heute an, dass sie Werbung gern online konsumieren würde. Über die gleiche Befragung lässt sich jedoch analysieren, dass Werbung primär offline wahrgenommen wird. Die werberische Kommunikationsleistung der Banken scheint also gerade online noch nicht zielgruppenspezifisch genug zu sein, um die Kernfrage jeder wirksamen Werbung zu beantworten: "Was hat diese Botschaft mit mir zu tun?"
Die Banken scheinen nach wie vor sehr stark in Bezug auf die Höhe des Vermögens und nicht in Bezug auf das Verhalten (etwa die Touchpoint-Nutzung) oder gar die Werte der Bankkundschaft (etwa grosser gesellschaftlicher Trend hin zu Nachhaltigkeit) zu segmentieren. In der Folge resultieren zu generische Kundenbetreuungskonzepte.
Bei der Betrachtung dieser Rückschlüsse kann man festhalten, dass Banken offenbar noch viel zu wenig über ihre Kundschaft wissen, um sich auf deren zukünftige Erwartungen einstellen zu können. Erste Banken, wie etwa die St. Galler Kantonalbank, haben dieses Defizit verstanden und in den Bereich der Customer Analytics investiert. Auf der anderen Seite sind die meisten Banken noch immer eher langsam in Bezug auf die Lancierung neuer digitaler Dienstleistungen und Angebote. Neobanken, die aufgrund ihrer Neugründung über eine in der Regel moderne modulare IT-Infrastruktur verfügen, sind diesbezüglich agiler, richten sich schneller auf die veränderten Werte und Ansprüche von Kundinnen und Kunden ein und integrieren die am Markt verfügbaren Angebote schneller als etablierte Banken in ihr Angebot. Ein gutes Beispiel aus dem deutschen Markt ist die Tomorrowbank, die über eine Integration der Software Ecolytiq den CO2-Fussabdruck ihrer Kunden aus deren Kreditkartenzahlungen errechnet und den Kundinnen und Kunden ein Angebot zur CO2-Kompensation macht. Wir gehen davon aus, dass zukünftig auch Schweizer Banken verstärkt darüber nachdenken müssen, wie sie ihre Kundschaft nicht einfach "nur" zufriedenstellen, sondern nachhaltig begeistern können.
---------
Drei Fragen
Warum haben Banken eine andere Sicht auf die Kundenbedürfnisse als die Kunden selbst?
Nils Hafner: Banken gehen meist davon aus, dass sie eine wesentlich wichtigere Position im Kopf ihrer Kundinnen und Kunden einnehmen, als diese den Banken zugestehen. So wird Geld im Sinne der «Means-End-Theorie» lediglich als Mittel zum Zweck gesehen. Der Zweck nimmt aber den grossen Teil der intellektuellen oder emotionalen Beschäftigung der Kundschaft ein. Ein gutes Beispiel ist ein Hauskauf. Das neue Heim beschäftigt die Kundin oder den Kunden, dazu benötigen sie meistens einen Kredit. Die Bank ist (einer von vielen) Anbietern, die das Problem «zu wenig Geld» löst. Das sollte schnell, reibungslos und sympathisch passieren. Kunden gehen aber aufgrund ihrer Erfahrungen davon aus, dass das Banken in der Schweiz in der Regel gut hinbekommen.
Warum werden Kunden nicht früher in den Entwicklungsprozess einbezogen?
Andreas Dietrich: Weil ihnen zumeist das Fachwissen fehlt und sie «nur» aus ihrer Erfahrung heraus Input geben können. Das bedeutet, dass Kundinnen und Kunden meist bemerken, wenn etwas nicht so schnell, reibungslos sympathisch klappt, wie sie es erwarten. Gerade beim Einbezug der Kundschaft zur Entwicklung von Innovation ist es schwierig, Input zu bekommen. Henry Ford hat das mal schön bei der Entwicklung des Automobils skizziert: «Wenn ich meine Kunden gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie geantwortet: Schnellere Pferde!» Wenn Banken hier agil mit Prototypen arbeiten, können Kundinnen und Kunden schon etwas beitragen. Der Konzern der Basler Kantonalbank betreibt seit Jahren erfolgreich Kundenzirkel für Zak, die Bank Cler und auch das Stammhaus.
Welche Eigenschaften sollten digitale Finanzdienstleistungen aus Kundensicht vor allem haben?
Nils Hafner: Finanzdienstleistungen werden als «Problemlöser» angesehen. Ein einmal wahrgenommenes Problem sollte immer schnell, reibungslos und sympathisch gelöst werden. Je besser das digitale Finanzdienstleistungen etwa durch eine verständliche und ansprechende User Experience hinbekommen, desto besser. Im Wettbewerb ist neben diesem wahrgenommenen Nutzen auch der Preis entscheidend, wenn die menschliche Beziehungskomponente beispielsweise zu einem Berater wegfällt.