Milk Interactive und Onari Projects über den Master-Titel mit "Teena"
Die App "Teena" hat bei Best of Swiss Apps 2022 abgeräumt: drei Mal Gold und den Master-Titel. Im Interview sprechen Tobias Gemperli und Christoph Eck von Milk Interactive sowie Sophia Goedecke von Onari Projects über die Challenges bei der Umsetzung und über die wichtigsten Lehren aus dem Projekt.
Was bedeutet der Award für Milk Interactive?
Tobias Gemperli: Der Master Award und auch die Gold Auszeichnungen sind uns eine grosse Ehre. Wir können es immer noch nicht fassen, dass die Teena-App die Herzen der Jurys und des Publikums gewonnen hat. Der Award bestätigt uns und allen beteiligten Teams, dass wir hervorragende Arbeit geleistet haben. Wir sind höchst motiviert, die Teena-App weiter auszubauen und Teens auf dem Weg in die Adoleszenz zu unterstützen. Wir hoffen, dass uns der Ritterschlag auch Türen zu weiteren spannenden App-Projekten öffnet.
Auch das Designstudio Onari Projects wirkte an der App mit. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Gemperli: Unsere Designer können sich ganz gut in andere Nutzergruppen eindenken. Bei der Teena-App haben wir jedoch gemerkt, dass wir an unsere Grenzen stossen, denn unser Team bei Milk Interactive besteht ausschliesslich aus Männern. Eine Frau kann besser erkennen, was Mädchen im Teenageralter interessiert und beschäftigt. Denn sie kann aus einem Schatz von eigenen Erfahrungen schöpfen. Also haben wir uns nach einer kompetenten Ergänzung umgeschaut. Wir kennen die vier Partnerinnen von Onari Projects aus früheren Projekten und waren uns sicher, dass wir zusammen mit ihnen eine grossartige App entwickeln könnten. Sie sind sehr stark im Erarbeiten von visuellen Konzepten und Identitäten. Gepaart mit unserer Erfahrung in UI- und UX-Design für mobile Endgeräte war das eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit.
Was hat Sie am Projekt besonders gereizt?
Sophia Goedecke: Wir von Onari Projects sind vier Frauen und das Thema Zyklus begleitet uns schon vor beziehungsweise seit unserer ersten Periode. Daher war diese Projektanfrage für uns sehr spannend. Leider wissen wir auch aus eigener Erfahrung, dass dieses Thema immer noch schambehaftet ist. Das Thema für die Nutzerinnen zugänglich zu machen, einen positiven Umgang damit zu finden, und auch zu überlegen, was in dieser Anfangsphase wichtig ist zu wissen. Es gibt schon sehr viele Applikationen auf dem Markt, diese fokussieren sich aber eher auf fortgeschrittene Nutzerinnen. Zudem sahen wir aus gestalterischer Sicht auch eine tolle Herausforderung, eine App zu konzipieren und zu gestalten.
Gemperli: Interdisziplinäre Projekte interessieren uns bei Milk Interactive besonders. Bei Teena kommt einiges davon zusammen, denn die App vermittelt Wissen zur Biologie des Körpers. Ausser Hardware und Software Engineering waren für dieses Projekt auch eine gute User Experience, sinnvolle Inhalte mit Motion Design, Informationsdesign und erklärende Illustrationen sowie die gesamte Identität des Brands und der App erforderlich. Teenager sind eine besonders anspruchsvolle Nutzergruppe. Da braucht es beim Design und beim Erstellen der Inhalte viel Feingefühl. Die App soll nicht kindlich aussehen und auch nicht wie der Rest der Apps auf dem Smartphone der Eltern. Und persönlich hat mich das Teena-Projekt gereizt, weil ich selbst zwei Töchter habe und mir auch für sie einen gesunden und positiven Umgang mit ihrem Körper wünsche.
Wie sind Sie bei der Konzeption der App vorgegangen?
Gemperli: Natalie Rechberg von VE Valley Electronics hatte die Vision, ein Produkt bestehend aus Temperaturmessgerät und App für Teenager zu entwickeln, um sie über den weiblichen Zyklus aufzuklären. Wir waren bereits mit dem Thema vertraut aus unseren Arbeiten an Teenas grosser Schwester, der "DaysyDay"-App, einem Zyklustracker für erwachsene Frauen. Wir haben viel recherchiert und uns verschiedene Bücher, Websites und Tiktok-Channels angesehen. Während dieser Recherche haben wir uns intensiv mit dem Team von Valley Electronics ausgetauscht und so die Produktidee laufend geschärft. Es entstanden erste Entwürfe und Wireframes. Valley hat parallel dazu User Research bei Eltern und Teenager betrieben. Es hat sich abgezeichnet, dass sie offen für eine digitale Aufklärlösung sind. Das genaue Konzept und die Architektur der Inhalte haben wir anschliessend zusammen mit Onari Projects erarbeitet.
Goedecke: Die Frage, wie wir dieses schambehaftete und für viele als unangenehm empfundene Thema in etwas Positives und Anregendes umdeuten können, stand für uns im Zentrum bei der Erarbeitung des Konzepts und Designs. Dass die App ein massgeschneidertes und eigenständiges Design braucht, das die jungen Nutzerinnen ernst nimmt und ihnen eine visuelle Umgebung bietet, in der sie sich wohlfühlen, war für uns von Anfang an klar. Teena soll für sie eine Begleiterin sein und ihnen wertvolles Wissen zur Verfügung stellen, dann, wenn sie es brauchen: Die animierte Zyklusreise erzählt in der jeweiligen Zyklusphase, was im Körper passiert, und das Magazin erlaubt es, noch mehr zu erfahren, zu lernen und versorgt die Teens mit Tipps und Tricks. Die Ausgangslage für den Prozess bildete eine Umfeldanalyse und schliesslich viele, viele Gespräche mit den erfahrenen Teams von Valley Electronics und Milk Interactive.
Wie sind Sie bei der Entwicklung der App vorgegangen?
Christoph Eck: Die Teena-App ist das Bindeglied zwischen der Nutzerin, dem Messgerät und dem Back-End. Eine gute Definition der Schnittstellen war zentral für die App. Wir nahmen uns viel Zeit, uns mit den Firmware- und Back-End-Teams abzustimmen und den Datenfluss aufzuzeigen. Für die Entwicklung der Teena-App entschieden wir uns für die Cross-Platform-Umgebung "React Native", um Codeteile sowohl auf iOS als auch auf Android verwenden zu können. Die rechenintensiven Komponenten erstellten wir nativ mit Swift und Kotlin. Den Algorithmus, der die Zyklusphasen berechnet, lagerten wir auf ein Back-End aus. Dies bietet uns maximale Flexibilität für zukünftige Entwicklungen. Die App lädt die Daten des Temperaturmessgeräts via Bluetooth. Nichts frustriert mehr als eine nicht funktionierende Verbindung. Somit achteten wir von Beginn an darauf, dass die Datenmenge klein ist und die Synchronisation der Daten zuverlässig funktioniert.
Was waren die grössten Herausforderungen bei der Umsetzung?
Goedecke: Die Zielgruppe besteht aus Nutzerinnen zwischen 9 und 15 Jahren. In dieser Zeit passiert so viel im Körper – man wächst von einem Kind zu einer erwachsenen Frau heran. Eine App für diese Zielgruppe zu konzipieren, die richtigen Funktionen zu entwickeln und den Tone of Voice für alle zu finden, war sicher die grösste Herausforderung auf Designseite. Eine 9-Jährige vor ihrer ersten Periode interessieren andere Inhalte als eine 15-Jährige, die ihre Periode schon hat.
Eck: Eine grosse Herausforderung war die synchrone Arbeit mit den verschiedenen Teams und dabei sicherzustellen, dass die Zeitvorgaben eingehalten werden. Wir haben viel spezifiziert und kommuniziert. Wir haben Unit-Tests geschrieben, um früh sicherzustellen, dass die Puzzleteile aus der Hardware-, Firmware-, Back-End-, Algorithmus- und App-Entwicklung zusammenpassen. Die Europäische Datenschutz-Grundverordnung sieht besonders strenge Anforderungen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor. Wir verzichten aus diesem Grund auf einen klassischen Login-Prozess mit Namen, E-Mail-Adresse oder Telefonnummer. Die Benutzerin erhält einen Wiederherstellungsschlüssel für den Fall, dass sie ihr Mobiltelefon verliert. Die Daten werden auch nicht mit Werbeanbietern geteilt.
Zusätzlich zum Master-Titel gewann das Projekt gleich drei Mal Gold, und zwar in den Kategorien Design, Functionality und Innovation. Welcher Aspekt ist aus Engineering-Sicht am wichtigsten?
Eck: Alle drei Awards zeichnen auch das Engineering aus, darum ist es schwierig, einen Aspekt davon herauszuheben. Gutes Design kann nur brillieren, wenn es auch sauber umgesetzt ist. Wir haben viel Entwicklungszeit ins UI investiert und sind daher ausgesprochen glücklich, auch in dieser Kategorie abgeräumt zu haben. Gleiches gilt für Functionality. Die Funktionalität ist der Grund, warum man eine App entwickelt und Engineering die grundlegende Zutat, welche die Funktionalität überhaupt erst ermöglicht. Gold in Innovation ist noch das Tüpfelchen auf dem i, denn welcher Entwickler strebt nicht danach, an einer innovativen Lösung zu arbeiten. Die drei Awards inklusive des Masters und dazu auch noch Silber in UX und Usability sind ein mehr als befriedigendes Resultat und würdigt unsere Arbeit in einem Rahmen, den wir uns nie hätten erträumen können.
Die App beinhaltet auch biowissenschaftliche Informationen und Grafiken, speziell für die gewünschte Zielgruppe aufbereitet. Fiel es da auch mal schwer, eine Balance zwischen Fakten und Storytelling zu finden? Und wenn ja: bei welchen Themen?
Goedecke: Natürlich war es wichtig, die Inhalte korrekt darzustellen, bei den Fakten zu bleiben und die Informationen so aufzubereiten, dass sie medizinisch korrekt und trotzdem für die Zielgruppe verständlich sind. Es war für uns aber nie ein Widerspruch, akkurate wissenschaftliche Informationen auf eine attraktive und verständliche Art aufzubereiten. Ausgangslage ist für uns immer der Inhalt: Was muss gesagt werden? Wie soll es gesagt werden? Wie stehen die Infos zueinander? Wo braucht es eine gewisse Nüchternheit und wo kann man sich einen Ausbruch davon erlauben? So haben wir unterschiedliche Inhaltsgefässe geschaffen, die auf verschiedenen Ebenen Anwendung finden. Die gemessene Temperatur beispielsweise wird bei Teena durch lustige Emotionsstickers ergänzt, welche die Nutzerinnen je nach Stimmung auswählen können. Für uns hat Valley Electronics hier Mut bewiesen, dass sie sich für so einen farbigen, eigenen und abstrakten Illustrationsstil entschieden haben. Dieser gibt jetzt nicht nur der App einen eigenen Charakter, sondern auch dem ganzen Brand «Teena» eine sehr auffällige und eigenständige Identität.
Wie lief die Zusammenarbeit mit Valley Electronics?
Goedecke: Wir sind als Neulinge zum Team dazugestossen und die Zusammenarbeit hat für uns von Anfang an funktioniert. Natalie Rechberg hat uns mit ihrer Vision von Teena voll abgeholt und immer an das Team geglaubt. Die Hierarchien waren flach und alle Teammitglieder wurden gleich ernst genommen. Zudem wurde allen viel Freiraum gelassen beim (Weiter-)entwickeln von Ideen – das hat letztlich zu dieser tollen App und zum Brand geführt. Für uns war es bisher eine tolle Reise, und wir freuen uns auf deren Fortsetzung.
Gemperli: Wir haben für Valley Electronics vor der Teena-App bereits die "DaysyDay"-App entwickelt und haben in den vergangenen Jahren eine partnerschaftliche Vertrauensbasis aufgebaut. Wir wussten daher genau, was uns erwartet und wie wir uns am besten ergänzen. Bei der Zusammenarbeit mit Valley Electronics schätzen wir sehr, dass sie uns viel Freiraum und Kompetenzen zugestehen in den Bereichen, in denen wir stark sind: Ideation, Konzeption, Erarbeiten von visuellen Konzepten, Informationsarchitektur, UI- und UX-Design und natürlich auch Softwareentwicklung, Testing und Unterhalt. Das vereinfachte und beschleunigte die Zusammenarbeit erheblich.
Wie geht es mit der App weiter?
Gemperli: Wir werden beobachten, wie die Teenager die App nutzen. Basierend auf den Beobachtungen entscheiden wir, wo es noch Arbeit und weitere Funktionen braucht. Ich könnte mir vorstellen, dass wir noch mehr Gamification einbauen, um ein häufiges Messen der Basaltemperatur zu belohnen.
Gibt es ein Wunsch-Feature, das Sie gerne noch hinzuentwickeln würden?
Gemperli: Wir möchten das Zykluswissen in der App weiter ausbauen und Themen von Sport über Gesundheit bis hin zu Ernährung anbieten. Die Inhalte sollen individuell ausgespielt werden, abgestimmt auf die aktuelle Zyklusphase und die Interessen der Nutzerin. Eine 15-Jährige soll anderes Wissen finden als eine 9-Jährige, die sich zum ersten Mal mit dem Zyklus befasst. Wir möchten auch noch weitere Formen von Inhalten anbieten, etwa Interviews, Podcasts oder Quiz.
Gibt es auch Features, auf die Sie verzichtet haben?
Gemperli: Wir hätten es den Teenagern gerne ermöglicht, sich untereinander auszutauschen. Denn Teenager lernen am liebsten von Peers. Wir haben uns allerdings dagegen entschieden, denn unser oberstes Gebot ist es, die Teenager zu schützen. Wir möchten den Teens mit der Teena-App einen sicheren Rahmen bieten, wo sie sich sorglos bewegen können. Ein offener Austausch unter Teens hätte diesen sicheren Rahmen gesprengt.
Was war die wichtigste Lektion, die Sie während des Projekts gelernt haben?
Gemperli: Für uns hat sich einmal mehr bestätigt, dass Design weit über Konzeption, UX und Styling hinausgeht. Designerinnen und Designer können und sollten viel mehr zum dargestellten Inhalt beitragen, als dies in den meisten Projekten der Fall ist. Und eine klare Haltung der Designer und Designerinnen bezüglich ihrer Arbeit ist wichtiger als das kumulierte Feedback auf visuelle Details aus Usertests. Nur so entstehen massgeschneiderte und abgerundete Produkte und nicht generische Hülsen. Das braucht Mut, aber dieser wird sehr oft belohnt.