Interview mit Markus Bierl

Das sagt der neue Schweizer DSAG-Fachvorstand Schweiz zu SAPs Cloud-Strategie

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Die deutschsprachige SAP-Anwendergruppe (DSAG) hat Mitte Oktober anlässlich ihres Jahreskongresses in Leipzig ­Markus Bierl zum neuen Fachvorstand für die Schweiz gewählt. Bierl ist langjähriger CIO der Schweizer Unternehmensgruppe Franke. Was ihn in der neuen Rolle antreibt, welche Ziele er sich mit der DSAG hierzulande gesteckt hat und was er sich für die Zusammenarbeit mit SAP wünscht, verrät Bierl im Interview.

Markus Bierl, CIO der Franke-Gruppe und Fachvorstand Schweiz der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG). (Source: zVg)
Markus Bierl, CIO der Franke-Gruppe und Fachvorstand Schweiz der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG). (Source: zVg)

Sie haben am 16. Oktober den Fachvorstand der DSAG Schweiz übernommen. Was motiviert Sie, dieses Amt auszuüben?

Markus Bierl: Franke ist seit vielen Jahren Mitglied der DSAG. Damit kenne ich den Industrieverband bereits seit Langem. Ich schätze seinen grossen Einfluss auf SAP, das breite Wissensangebot und die Vernetzungs- und Austauschmöglichkeiten mit den mehr als 4000 gelisteten Unternehmen innerhalb der Community. Ich selbst bin auch in diversen der mehr als 200 DSAG-Gremien aktiv, die sich für die Anwenderinteressen einsetzen. Bisher habe ich davon allerdings vor allem profitiert. Jetzt möchte ich als Fachvorstand etwas zurückgeben und mich engagieren. Dazu kommt: Es ist einfach, Entwicklungen zu kritisieren. Herausfordernder dagegen ist es, konkret etwas zu bewirken. Genau das habe ich mir nun vorgenommen: spürbare Ergebnisse für die Community zu schaffen und mich im SAP-Kontext für die Belange der Schweiz-Anwender starkzumachen. 

Welche Ziele möchten Sie mit dem Verband erreichen?

Das Hauptziel ist, Einfluss auf strategische Entscheidungen des Softwarekonzerns zu nehmen und im Sinne der Anwender Veränderungen anzustos­sen. Als Fachvorstand verstehe ich mich dabei als Mittler zwischen SAP einerseits und den DSAG-Mitgliedern andererseits. Wichtig ist mir eine gute, kollegiale Zusammenarbeit mit allen Beteiligten. Das gilt auch SAP gegenüber. Selbst wenn unbequeme Themen auf das Tableau kommen, soll der Dialog konstruktiv-kritisch und auf Augenhöhe stattfinden. Innerhalb der Gremienarbeit der DSAG möchte ich die Anwenderinteressen von KMUs stärken. Hier sehe ich noch Potenzial. Mit Blick auf die Cloud-Strategie von SAP ist mir ausserdem wichtig, mich dafür einzusetzen, dass On-Premises-User nicht abgehängt werden. Und auch bei den jährlichen Preiserhöhungen für Wartung und SAP-Cloud-Dienste sehe ich Anknüpfungspunkte. 

SAP will in den nächsten zehn Jahren zwei Milliarden Euro in die ­Sovereign Cloud investieren. Was hält Ihre Organisation von diesem Investitionspaket? 

Als DSAG begrüssen wir diese Investitionen. Dass der Weg für Anwender früher oder später in die Cloud führt, steht für uns ausser Frage. Elementar ist es für uns allerdings, dass dafür die Rahmenbedingungen stimmen. Gerade für öffentliche Institutionen und Unternehmen, die datensensible Anwendungen betreiben, scheiden Public-Cloud-Angebote aktuell meist noch aus, weil sie die Anforderungen an den Datenschutz, vorgegebene Sicherheitsstandards und eine hohe Verfügbarkeit nicht erfüllen. Deshalb ist es aus Anwendersicht erfreulich, dass der Markt für souveräne Cloud-Angebote wächst. Sei es mit "Delos", der Plattform, die auf der Hyperscaler-Technologie Microsoft Azure basiert. Oder die jüngst auf dem DSAG-Jahreskongress kommunizierte SAP-Partnerschaft mit der Schwarz-Gruppe – der datensouveränen Cloud-Lösung Stackit, die in Deutschland und Österreich gehostet werden soll. Das lässt hoffen, dass Angebote wie diese früher oder später auch für die Schweizer Community bereitgestellt werden. 

Wie schätzen Sie die Bedeutung von Datenhoheit und Sicherheit in diesem Zusammenhang ein? Welche Rolle spielt die Sovereign Cloud in der zukünftigen IT-Landschaft Schweizer Unternehmen und welche Vorteile bietet die Sovereign Cloud auch für Unternehmen ausserhalb von regulierten Industrien?

Datenhoheit und Sicherheit sind ein hohes Gut und nicht nur aus rechtlicher Sicht elementar. Kommen die Sovereign-Cloud-Lösungen wie angekündigt und bieten sie Datensouveränität, eine Vermeidung von Vendor-Lock-ins, Sicherheit, langfristige Stabilität – und das bei gebotenem Datenschutz –, dann sind sie ein echter Gewinn – auch für Unternehmen ausserhalb regulierter Industrien beziehungsweise Branchen. 

Wie bewerten Sie die aktuelle Cloud-Strategie von SAP für Schweizer Unternehmen?

Schaut man in die Praxis und auf die Anwender, zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zwischen der SAP-Strategie und der Realität. Das belegen auch die Zahlen aus dem DSAG-Investitionsreport 2024. Darin sagen etwa 24 Prozent der Schweizer Mitgliedsunternehmen und knapp die Hälfte im gesamten DACH-Raum, dass die S/4-Hana-Cloud-Strategie von SAP für ihr Unternehmen noch nicht passend sei. 52 Prozent der Schweizer Befragten stehen der Strategie komplett neutral gegenüber. Das unterstreicht aus meiner Sicht, dass viele Unternehmen in Bezug auf die Cloud-Migration und die damit verbundenen strategischen Entscheidungen sehr unsicher sind. Hier müsste SAP mit einer klaren Kommunikation gegensteuern und transparente Informationen über den Implementierungsprozess liefern. Zudem brauchen Anwender Best Practices und Referenzarchitekturen. All das sind Aspekte, mit denen SAP zu einer positiveren Anwendersicht auf die S/4-Hana-Cloud-Strategie beitragen könnte. 

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Probleme, mit denen die SAP-Anwenderschaft zu kämpfen hat? Und wie sollte SAP darauf reagieren? 

Die aktuell grösste Herausforderung ist sicherlich die digitale Transformation. Auch hier gibt der DSAG-Investitions­report Aufschluss. Laut der Umfrage sind 57 Prozent der Schweizer Unternehmen noch nicht sehr weit im Prozess. Bestätigt wird das Bild von einer aktuellen Erhebung von DSAG und Americas SAP Users’ Group (ASUG). Das Ergebnis daraus: Nur 8 Prozent der befragten Schweizer Unternehmen können mit der Geschwindigkeit des Wandels auf technischer, gesellschaftlicher und/oder wirtschaftlicher Ebene problemlos mithalten. 58 Prozent sagen, sie könnten einigermassen und 25 Prozent sagen, sie könnten gar nicht mithalten. Diese sehr eindrückliche Zahlen zeigen, dass es hier noch einiges zu tun gibt. Ein ganz wesentlicher Treiber in der digitalen Transformation ist die Cloud. Entsprechend ist es an SAP, den Unternehmen zu verdeutlichen, wie sie den Mehrwert von Cloud-Lösungen nutzen können, und Antworten zur Flexibilität des Betriebsmodells zu liefern. Einen weiteren wichtigen Punkt sehe ich darin, den Usern klare Perspektiven zu bieten. Das heisst, für Produkte, die 2027 beziehungsweise 2030 auslaufen, muss der Softwarekonzern frühzeitig ausgereifte Nachfolgelösungen bereitstellen. Dies sind nur einige der Herausforderungen. 

Die DSAG kritisierte in der Vergangenheit die Preis- und Lizenzpolitik von SAP. Was hat sich diesbezüglich getan? 

Kurz gesagt: Versprochen wurde eine Vereinfachung. Tatsächlich wird es für die Anwender aber immer komplizierter, die Preis- und Lizenzpolitik zu durchdringen. Cloud-Lösungen werden ständig weiterentwickelt, Metriken geändert und das wiederum führt zu neuen Supplements, von denen Kunden nichts wissen. Aus DSAG-Sicht braucht es daher von SAP unbedingt eins: Transparenz. Und: Kommt es zu Änderungen der kommerziellen Rahmenbedingungen, sollte SAP das den Kunden auch proaktiv mitteilen.

Jean-Claude Flury, Ihr Vorgänger als Fachvorstand Schweiz der DSAG, kritisierte mehrfach den Entscheid von SAP, KI-Funktionen und weitere Innovationen nur in der Cloud zur Verfügung zu stellen. Wie sehen Sie das? 

Die Kritik meines Vorgängers ist absolut gerechtfertigt. SAP hatte mit der Wartungsverlängerung bis 2040 für die ERP-Lösung S/4 Hana zugesichert, Innovationen konsequent und langfristig bereitzustellen. Dem sollte der Softwarekonzern auch nachkommen und alle KI-Innovationen für die S/4-Hana-Private-Cloud ebenso für S/4-Hana-On-Premises mit identischem Leistungsumfang zur Verfügung stellen. Als DSAG fordern wir, dass alle S/4-Hana-Anwender von Technologien wie Machine Learning (ML) und von den aus den zahlreichen neuen KI-Funktionen resultierenden Funktions- und Integrationsszenarien profitieren.

Vor einem Jahr präsentierte SAP einen KI-Assistenten namens Joule. Wie kommt dieser bei den Schweizer SAP-Usern an?

Auch bei den Schweizer Unternehmen ist KI in aller Munde. Wie schon betont ist es allerdings kritisch zu sehen, dass SAP bei der Integration von KI-Funktionen in Geschäftsprozessen primär auf die Cloud setzt. Entsprechend sind auch die bisherigen Reaktionen auf Joule noch zurückhaltend. Befragt nach dem Verständnis von KI am Beispiel von Joule, gaben bei der ASUG-DSAG-Umfrage 33 Prozent der Schweizer Unternehmen an, "im Moment viel zu lernen". 29 Prozent antworteten, nicht auf dem Laufenden zu sein. 21 Prozent trugen ein "kann ich nicht einschätzen" und 17 Prozent ordneten sich ein bei "ich versuche gerade aufzuholen". 

Wie wirkt sich der KI-Boom allgemein auf die hiesige SAP-Kundschaft aus? Ist der Wille oder der Wunsch, in die Cloud zu wechseln, jetzt grösser?

Bisher ist mir kein Fall bekannt, in dem sich ein Unternehmen entschlossen hat, mit dem Walldorfer Softwarekonzern in die Cloud zu gehen, rein aufgrund der KI-Lösungen von SAP. Generell sehe ich wenige KI-Lösungen bei Anwendern im Einsatz, die einen deutlichen Mehrwert bringen. Wenn, dann arbeiten Unternehmen mit Lösungen verschiedener Anbieter wie Microsoft oder AWS. SAP hat hier kein Alleinstellungsmerkmal. Zudem kann man Lösungen auch mit On-Premises-Systemen verbinden. Deshalb sehe ich bisher den KI-Boom nicht als Treiber für den Weg in die Cloud. Um Anwender zu einem Wechsel zu bewegen, muss SAP aus meiner Sicht klarer zeigen, welche Vorteile gerade auch in finanzieller Hinsicht ein Unternehmen hat, in die Cloud zu wechseln und dort SAP-KI einzusetzen. 

 

 

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