Warum sich Facebook auf ein Minenfeld wagt
Es tut sich einiges in der Krypto-Welt. Der Bitcoin gewinnt wieder an Zuspruch, Unternehmen starten neue Blockchain-Projekte und Facebook will mit einer eigenen Kryptowährung die Finanzbranche aufmischen. Was das bedeutet, sagt Luzius Meisser, Mitgründer und Vorstandsmitglied der Bitcoin Association Switzerland.
Facebook will mit Libra zum globalen Finanzdienstleister werden. Was kommt da auf die Kryptowelt zu?
Luzius Meisser: Libra ist ein Projekt von vielen und muss sich erst noch behaupten. Es hat den Vorteil grosser Namen im Hintergrund, aber das Handicap, von einem Konsortium verwaltet zu werden. Konsortien tun sich normalerweise schwer mit Innovationen. Daher stammt auch der in der Informatik bekannte Begriff «Design by Committee» für Produkte ohne herausragende Eigenschaften. Libra droht genau dieses Schicksal, wenn Projektleiter David Marcus nicht aufpasst.
Welche Ziele verfolgt Facebook mit einer eigenen Kryptowährung?
Facebook schielt vermutlich auf «WeChat», ein chinesischer Chatdienst, der täglich ein Zahlungsvolumen von über einer Milliarde US-Dollar verarbeitet. Demnach würde Facebook den Libra wohl nicht unbedingt als Erstes auf der Facebook-Website, sondern bei der Tochterfirma Whatsapp zur Anwendung bringen. Ähnliche Pläne hat im Übrigen Telegram, der bevorzugte Chatservice in der Krypto-Welt, der dafür bereits letztes Jahr in einem erfolgreichen ICO über 1,7 Milliarden Dollar an Risikokapital erhalten hat.
Was macht das soziale Netzwerk anders als Bitcoin & Co.?
Der grösste Unterschied liegt darin, dass Bitcoin komplett dezentral und ohne Trägerorganisation strukturiert ist. Libra hingegen soll von einem Konsortium herausgegeben werden, was die Währung von Beginn an abhängig und angreifbar macht.
Welche Chancen hat Libra?
Ich schätze die Chancen als intakt, aber angesichts der unzähligen ähnlichen Projekte eher gering ein. Der Betrieb von Kryptowährungen ist nicht nur ein rechtliches, sondern in diesem Fall auch ein politisches Minenfeld.
Libra ist wie andere Kryptowährungen aus der Politik unter Beschuss. Woran stören sich die Kritiker?
Für viele Politiker ist Libra eine willkommene Gelegenheit, sich öffentlichkeitswirksam zu profilieren, ohne viel riskieren zu müssen. Niemand mag Facebook, und wer sich gegen Facebook positioniert, kann von links bis rechts auf Zuspruch hoffen. Dass die Empörung nicht ganz aufrichtig ist, merkt man allein schon daran, dass sie zu einem Zeitpunkt kommt, wo der Libra noch gar nicht existiert und insbesondere über die nicht ganz triviale rechtliche Umsetzung noch wenig bekannt ist. Bei den USA schwingt wohl stets auch die Angst mit, dass der Dollar seine Stellung als Leitwährung einbüssen könnte.
Wie könnte die Beziehung Schweiz – USA durch die Debatte um Libra belastet werden?
Die Beziehung zwischen der Schweiz und der USA wird dann belastet, wenn die Debatte polemisch und unsachlich geführt wird. Bei genauerem Hinsehen lösen sich aber die meisten Befürchtungen in Luft auf. Libra ist hier, weil der Projektleiter einen persönlichen Bezug zu Genf hat und weil die Schweiz viele offene Fragen frühzeitig geklärt hat. Damit bietet die Schweiz höhere Rechtssicherheit als andere Länder, hat aber auch eine strengere Aufsichtsbehörde. Beispielsweise genügt die Art, wie Revolut seine Kunden identifiziert, zwar den Anforderungen der britischen FCA, aber nicht den Anforderungen der Finma, die beim Onboarding einen persönlichen Videochat mit dem Kunden verlangt.
Welche Formen der Regulierung sind für Kryptowährungen überhaupt sinnvoll?
Die Stärke der Schweizer Gesetzgebung liegt darin, dass sie weitgehend prinzipienbasiert und technologieneutral ist. Wir können neue Technologien viel einfacher ins existierende Recht einordnen als die EU mit ihren detailverliebten Direktiven. Punktuelle Anpassungen, wie die der pendenten DLT-Gesetzesvorlage, sind manchmal aber auch bei uns nötig. Das eidgenössische Finanzdepartement und das Justiz- und Polizeidepartement machen hier hervorragende Arbeit.
Inwieweit ist es ein Vorteil, dass die Libra Association in Genf zuhause ist?
Für die Schweiz ist es immer gute Werbung, wenn sie eine internationale Organisation als Standort wählt. Ob sich diese Wahl auch für Libra als vorteilhaft erweist, muss sich erst noch zeigen. Der Wallet-Anbieter Xapo beispielsweise hat nach anfänglichem Enthusiasmus seine Zelte in der Schweiz wieder abgebrochen. In solchen Fällen sollte man die Probleme aber zuerst bei den Firmen selbst suchen, bevor man sich über die Rahmenbedingungen beklagt.
Gleichzeitig steigt der Kurs des Bitcoins wieder nach einem Jahr in der Depression. Was hat sich 2019 verändert?
Die «weak hands» haben ihre Bitcoins nach dem Hype von 2017 wieder verkauft, sodass es zunehmend schwieriger wird, willige Verkäufer zu finden. Der Preisanstieg von 2019 könnte auch ein Vorspiel für 2020 gewesen sein, da findet nämlich im Frühling das nächste «Halvening» statt. Dabei wird die Anzahl der Bitcoins, die täglich geschöpft werden, halbiert. Das passiert alle vier Jahre und hat in der Vergangenheit jeweils ein Kursfeuerwerk entfacht. In einem effizienten Markt dürfte es dies natürlich nicht geben, da dieses Ereignis antizipierbar ist und somit vom Markt vorweggenommen werden sollte.
Was braucht es, damit sich Kryptowährungen als Zahlungsmittel breit durchsetzen?
Ich sehe Bitcoin vor allem als digitales Gold und nicht als Zahlungsmittel. Auch sonst sehe ich Kryptowährungen eher als Ergänzung zu bestehenden Währungen in bestimmten Nischen und nicht als Ersatz. Solange die Zentralbanken gute Arbeit machen, gibt es keinen Grund, den Franken oder den Euro auf breiter Front zugunsten einer Kryptowährung aufzugeben. Ich kann mir aber vorstellen, dass es mehr und mehr Brücken zwischen beiden Welten geben wird, beispielsweise den Crypto Franc, der im Ethereum-System ausgegeben wird und an den Franken gebunden ist.
Wie sind Schweizer Dienstleister und Entwickler in der Fintech-Branche in diesem Kontext aufgestellt?
Viele traditionelle Dienstleister tun sich schwer mit Kryptowerten, da sie nicht in die bestehenden Systeme und Abläufe passen. Andere – beispielsweise Swissquote und Vontobel – haben die neuen Kundenbedürfnisse bereits frühzeitig erkannt und entsprechende Produkte im Angebot. Gleichzeitig werden aber auch die neuen Player immer professioneller. Seba und Sygnum haben erst gerade eine Banklizenz erhalten, und Pionier Bitcoin Suisse könnte bald folgen. Insgesamt sind wir gut aufgestellt und viel besser vorbereitet, falls es erneut zu einem Ansturm auf Kryptowerte kommen sollte.
In der Boomphase klagte das Crypto Valley, dass die Schweizer Finanzwelt hohe Hürden für seine Start-ups aufstellt. Wie sieht es heute aus?
Inzwischen hat Swissbanking, der Branchenverband der Banken, einen Leitfaden zur Eröffnung von Firmenkonten für Blockchain-Start-ups erarbeitet. Damit ist es für Blockchain-Start-ups etwas einfacher geworden, ein Konto zu eröffnen. Allerdings bleibt der Finanzmarkt einer der am stärksten regulierten Märkte überhaupt, und eine dichte Regulierung stellt aufgrund der hohen Fixkosten stets eine Eintrittshürde für neue Marktteilnehmer dar. Wer heute als Fintech startet, sieht sich mit einem Vielfachen an Regeln konfrontiert wie die etablierten Institute in ihren einstigen Gründungsphasen.