Fachbeitrag

Telemedizin-Boost durch Corona

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von Dr. Reinhold Sojer, Leiter Abteilung Digitalisierung / eHealth, FMH Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärztete und Fabian Röthlisberger, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, FMH

Die Nachfrage nach Telemedizin hat während der Covid-19-Pandemie stark zugenommen. Diese Dienstleistungen werden zunehmend in der Cloud angeboten. Daraus entstehen für Ärzte, die dem Berufsgeheimnis unterstehen, besondere Herausforderungen. Für eine nachhaltige Entwicklung der Telemedizin sind neue Rahmenbedingungen notwendig.

Laut einer Analyse des Online-Vergleichsdienstes Comparis ist die Nachfrage nach Telemedizin während des Corona-Lockdowns stark gestiegen. Insbesondere haben sich vor allem Patienten ohne telemedizinisches Versicherungsmodell telemedizinisch beraten lassen. Gemäss Comparis verzeichneten die etablierten Telemedizinanbieter Medgate, Medi24 und Santé24 während der letzten Monate allesamt zwischen 20 bis 50 Prozent mehr Anfragen als vorher.

Onlinesprechstunden in den Arztpraxen

Auch Arztpraxen haben ihr Angebot ausgeweitet und bieten vermehrt Onlinesprechstunden an. Diese Offenheit gegenüber telemedizinischen Angeboten ist jedoch neu. Noch 2018 waren in einer von der FMH durchgeführten Studie mit insgesamt 4570 befragten Ärztinnen und Ärzten nur gerade 23 Prozent der Grundversorger positiv gegenüber Onlinesprechstunden eingestellt. Gründe für diese Skepsis sind unter anderem ungenügende finanzielle Anreize und die Befürchtung, den physischen Kontakt zum Patienten zu verlieren.

Mit Beginn der Covid-19-Pandemie wurden diese Argumente jedoch stark entkräftet, geht es doch in der aktuellen Situation gerade darum, den physischen Kontakt zu den Patientinnen und Patienten so gut wie möglich zu minimieren, um das Infektions­risiko zu reduzieren. Verschiedene Länder haben gleich zu Beginn der Krise mit zusätzlichen Massnahmen reagiert, um den Einsatz von telemedizinischen Konsultationen zu erleichtern. Auch die Schweiz hat reagiert und mit der befristeten Verordnung 2 vom 13. März 2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus die im Tarmed festgelegten Abrechnungslimitationen für telefonische Konsultationen angepasst.

Datenschutz- und -sicherheit müssen gewährleistet sein

Mit dem steigenden Angebot von Onlinesprechstunden wird für die Ärzteschaft immer wichtiger, dass ihre verwendeten telemedizinischen Anwendungen die Anforderungen an den Datenschutz erfüllen. Besonders Anwendungen, die Patientendaten in einer Cloud speichern - hierzu gehören auch Videoaufzeichnungen - müssen aus Sicht des Berufsverbands für Ärzte spezifische technische wie organisatorische Anforderungen erfüllen: Beispielsweise müssen die Daten in jeder Phase des Lebenszyklus verschlüsselt gespeichert werden; zudem muss im Bereich Audit Assurance und Compliance sichergestellt sein, dass das Schweizer Datenschutzgesetz eingehalten wird und transparente Angaben über die Offenbarungs- und Ermittlungsbefugnisse, die den staatlichen Akteuren eingeräumt werden, bekannt sind.

Fehlende Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Telemedizin

War die Digitalisierung für Arztpraxen bisher "freiwillig", ergibt sich durch die Covid-19-Pandemie nun eine Notwendigkeit, digitale Anwendungen einzusetzen. Ob der Telemedizin-Boost durch Corona längerfristig anhält, hängt insbesondere davon ab, wie in Zukunft die regulatorischen beziehungsweise tarifarischen Rahmenbedingungen definiert werden. So setzt der ambulante Ärztetarif heute keinen Anreiz für die Nutzung der Telemedizin, da entsprechende Positionen schlichtweg fehlen. Auch sind die Rechtsgrundlagen für die Anwendung der Telemedizin kantonal sehr unterschiedlich und bilden die Realsituation nur ungenügend ab. Für eine nachhaltige Entwicklung der Digitalisierung müssen diese Hindernisse im Sinne einer Gesamterneuerung der alten Strukturen abgebaut werden.

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