Das Stethoskop

EPD-Reset

Uhr
von Jürg Lindenmann, Geschäftsführer, Health-IT

Die Mühlen mahlen langsam, aber nun ist die Botschaft endlich auch beim Bundesrat ­angekommen: Es läuft nicht so recht mit dem elektronischen Patientendossier.

Jürg Lindenmann, Geschäftsführer, Health-IT. (Source: zVg)
Jürg Lindenmann, Geschäftsführer, Health-IT. (Source: zVg)

In Bad Nauheim steht der "Brunnen der Erkenntnis" – in Bezug auf das elektronische Patientendossier (EPD) ist dies der Bericht des Bundesrats (beziehungsweise des BAG) in Erfüllung des Postulats 18.4328 vom 14. Dezember 2018, eingereicht von Laurent Wehrli. Satte drei Jahre hat es gebraucht, bis eine wohl nicht gerade günstige Studie des BAG-Hausberaters, vorwiegend basierend auf eigenen Expertisen von E-Health Schweiz, die Erkenntnis erbrachte, dass das EPD gelinde gesagt eine komplette Fehlkonstruktion ist.

Mit dem Einbezug der effektiv betroffenen Stakeholder – nämlich unter anderem den Leistungserbringern, hätte man das schon vor Jahren feststellen und die Weichen neu stellen können. Wahrscheinlich aber war es weniger die Erkenntnis, die den Bundesrat zum Handeln bewegt. Nach mehr als einem Jahr des effektiven Gesetzesbruchs und wegen der im Argen liegenden Digitalisierung auf Bundesebene, die durch die Pandemie öffentlich wurde, ist nun auch die Politik endlich aufgewacht und macht mit weiteren Vorstössen Druck.

Lagebeurteilung

Der Bericht benennt einige, aber nicht alle Problempunkte des EPD: ungeklärte Finanzierung, Komplexität durch Dezentralisierung, unklare Kompetenzen und Verantwortlichkeiten von Bund und Kantonen, keine Ablage von strukturierten Bewegungsdaten wie etwa Medikation oder den Impfstatus, Abgeschlossenheit gegenüber B2B- und B2C-Anwendungen, doppelte Freiwilligkeit, überbordendes Zertifizierungswesen.

Weitere wesentliche Punkte werden wohl im Sinne des Selbstschutzes oder der Protektion der betroffenen Bundesbehörde nicht aufgeführt: fehlende beziehungsweise inkompetente Projektleitung, fehlendes Requirement Engineering & Management, fehlender Einbezug der betroffenen Stakeholder beziehungsweise der in der Praxis Betroffenen, fehlende Spezifikation "behandlungsrelevanter" Daten, bei den Leistungserbringern nicht umsetzbares Konzept der Registratur von einzelnen Gesundheitsfachpersonen.

Reparatur?

Die angekündigten, allerdings noch (wie lange wohl?) zu prüfenden Massnahmen lassen befürchten, dass man das EPD durch Herumschrauben flicken will. Das ist in etwa so, wie wenn man einen aufgrund von Konstruktionsfehlern fluguntauglichen Flieger mit dem Applizieren von Zierleisten dynamischer aussehen lassen wollte. Zudem ist anzunehmen, dass dasselbe Personal, das die aktuelle Situation verantwortet, mit der Reparatur beauftragt wird; und aus politischen Gründen die parastaatliche und von den Kantonen initiierte, noch nicht zertifizierte Stammgemeinschafts-Betreiber-Firma mit der zentralen Umsetzung beauftragt wird. Innovativere private Stammgemeinschaften, welche die Zertifizierung jetzt schon geschafft haben, werden dann wohl durch politische Marktabwürgung eliminiert.

Oder Reset?

Nur ein kompletter Reset kann das EPD retten, und das heisst: als zentrales Projekt in Verantwortung des Bundes aufsetzen, professionelles und kompetentes Personal dafür rekrutieren (wie das beim erfolgreichen Covid-Zertifikat durch die Rekrutierung von externen Profis der Fall war), transparente und einheitliche Finanzierung auf Bundesebene, professionelles Requirement Engineering, Verordnungen nur so weit nötig, Einbezug von Praktikern anstelle von theoretischen Experten.

Fazit

Das EPD ist in der jetzigen Form gescheitert. Daran ändern auch Hurra-Meldungen von einigen wenigen eröffneten leeren Dossiers durch Mitarbeitende von bisher zertifizierten Stammgemeinschaften, Beamte und Lokalpolitiker nichts mehr. In solchen Situationen braucht es den Mut, die Lage ungeschminkt zur Kenntnis zu nehmen und wenn nötig "den Stecker zu ziehen".

Man wird sehen, ob sich das Parlament dazu aufrafft, diesen mutigen Schritt zu tun, denn zu verlieren gibt es nichts weniger als die Glaubwürdigkeit der Behörden, zu gewinnen aber ein funktionierendes und nutzbringendes elektronisches Patientendossier nach den Bedürfnissen seiner Nutzer.

Tags
Webcode
DPF8_227993